Nein, wir haben nur gespielt...

Alternativschule heute:
Birkenstock ja, Laissez Faire nein

Endlich Schulkind! Seit Wochen hatte sich meine mittlere Tochter darauf gefreut. Sie ist eine der wenigen „Auserwählten“, die einen Platz an einer kleinen elternverwalteten Alternativschule in Wien bekommen haben. Gerade einmal zweiundzwanzig Kinder gehen an diese Schule. Sechs neue Kinder fangen heuer dort an. „Alternativschule“ – für mich hatte dieses Wort immer einen schalen Beigeschmack nach Laissez Faire und Birkenstock. Die teilweise absurden Erfahrungen, die ich mit meiner Ältesten im Regelschulwesen gemacht habe, haben mich schließlich umschwenken lassen. Ich ließ alle Vorurteile beiseite und rang um einen der begehrten Plätze. Und außerdem - Birkenstock sind ja heuer wieder in Mode. Und tatsächlich, die Lehrerin trägt welche.

Der erste Schultag war nicht unser erster Tag an der Schule, das ist der erste spürbare Unterschied. Schon vor den Ferien haben sich die Eltern vernetzt und die Kinder ausgiebig geschnuppert. Trotzdem hatte meine Kleine vor Schulbeginn bei aller Vorfreude auch Angst vor dem Neuen. „Hast du an deinem ersten Schultag eigentlich geweint Mama?“ fragte sie mich eines Abends. „Ich werde schon weinen, weil ich ja schüchtern bin und die Kinder noch nicht so gut kenne. Wenn du gehst, werde ich sicher weinen“.  Doch dann hat sie doch nicht geweint. Denn noch vor Schulbeginn gab´s für die Neuen eine Kinderjause in der Schule. Und nach ein paar Minuten Auftauzeit tobten die sechs Buben und Mädchen ausgelassen durch die Klassenzimmer und nahmen „ihre Schule“ in Besitz.

Dann der erste Tag. Gemeinsam mit den Eltern natürlich. Einen gemeinsamen Schuleinstieg gab es in der Regelschule meiner Ältesten auch. Zumindest durften die Eltern eine Stunde in der Klasse sitzen bleiben und zuhören, bevor sie zum Gehen aufgefordert wurden. Diesmal aber ist es ernst mit „gemeinsam“. Herumsitzen und zuschauen geht nicht. Es gibt Kennenlern-Spiele – und zwar für Groß und Klein. Und so hocke auch ich bald mitten im Gewusel  am Boden herum und versuche meinen Zettel mit Namen zu füllen. „Was ist dein Lieblingstier? Auch Delfin? Dann darfst du bei mir unterschreiben!“ Ich bin fasziniert davon, wie offen und freundlich die Kinder auf mich zugehen. In der nächsten Runde habe ich dann nochmal richtig Spaß. Auf die Frage „Was isst du gern?“ antworte ich mit „Gemüse“. In dieser Runde sammle ich keine Namen, bekomme aber wunderbare Grimassen zu sehen…

Später sitzen alle im Kreis und die Lehrerin erklärt, wie die erste Schulwoche ablaufen wird. Sie wird von einem älteren Kind unterbrochen. „Du, können wir heute schon was lernen?“. „Naja, eigentlich hatten wir das nicht so geplant heute…“. „Ooooh! Biiiitteeeee!!!“ … ob sie das für die neuen Eltern so einstudiert haben? Aber eigentlich sind wir ja genau deswegen auf diese Schule gekommen. Ich wünsche mir, dass meiner Tochter die Freude am Lernen erhalten bleibt. Und scheinbar funktioniert das hier.

Während der ersten Woche bekomme ich dann einen Einblick, warum das so ist. Die Pädagoginnen arbeiten ernsthaft und professionell und gleichzeitig mit viel persönlicher Begeisterung. Es gibt eine  klare Tagesstruktur mit abwechselnden Lern- und Erholungsphasen. Die Lehrerinnen besprechen sich täglich mehrmals, um auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder und die Gruppendynamik eingehen zu können. Es gibt klare Regeln, wie z.B. „Lernzeit ist Flüsterzeit“ und die Kinder scheinen sich tatsächlich daran zu halten. Meistens.

Am ersten Elternabend erfahren wir, was die Kinder bisher gelernt haben. Während die Großen bereits Referate erarbeitet haben, haben die Neulinge mit Buchstaben und Ziffern begonnen. Diese wurden aufgeschrieben, gestempelt, ausgeschnitten, mit Pölstern und Kindern im Raum aufgelegt oder künstlerisch umrahmt. Erklärt wird kindgerecht und mit Witz: „Das kleine ´a´ ist das Kind vom großen ´A´. Und wisst ihr warum das Kleine ´a´ einen Strich auf der Seite hat? … Damit es nicht von der Mama wegrollt!“

Als ich meine Tochter am nächsten Tag frage, ob sie denn schon viel gelernt hat, schaut sie mich mit großen Augen an. „Gelernt? Nein, ich hab noch gar nicht gelernt. Wir haben die ganze Woche nur gespielt. Aber schön wars! Und übrigens – ich kann schon ´Mama war da´ schreiben.“ Auch das kann also Schule sein. Wie schön wäre es, wenn auch die Regelschulen mit genug Ressourcen ausgestattet würden, damit die LehrerInnen auch dort so mit den Kindern arbeiten können!

 

Tags:

Teile diesen Blogbeitrag!