Brainwashed. Von Eltern, Schulen und Mutanten

Ich, Psychologin und Mutter dreier Töchter, habe an sich eine klare Vorstellung davon, wie man mit Kindern umgehen sollte. Niemals wertend z.B., denn wer aufwertet, hat auch die Macht zum Abwerten. Das ist nicht immer leicht. Wenn mir zum Beispiel die Dreijährige mit einem selbst gemalten Bild vor den Augen herumwedelt und erklärt: „Das bin ich und du und nochmal du und ein rosa Babyeinhorn!“ Ja dann rutscht mir schon mal ein „Oh, wie schööön…“ heraus. Ich versuche dann noch nachzusetzen mit „Aaah… oh wie schön, dass du mir das zeigst!“. Nun gut.

An sich bin ich also eine liebende, wertschätzende Mutter. Ich akzeptiere meine Töchter genauso wie sie sind und versuche sie dabei zu unterstützen, ein gesundes ICH zu entwickeln. Ich zeige Grenzen auf, wenn es gefährlich wird. Ich lebe Respekt vor und fordere ihn ein. Respekt vor sich selbst, den eigenen Gefühlen und Grenzen, vor anderen Menschen, der Natur, und so weiter. Vielleicht klingt das jetzt bemüht, aber ich schwöre, es fällt mir leicht, denn so bin ich eben. Dachte ich zumindest lange Zeit…

Bis mich eines Morgens ein mutierter Alien aus dem Badezimmerspiegel anstarrte. Äußerlich sah er mir ähnlich. Aber irgendetwas war anders. Nicht die Augenringe, die waren normal um diese Tageszeit. Aber der Blick, der war so … so … abwertend? Das Kinn des Aliens schob sich millimeterweise nach vorne, die Lippen pressten sich verkniffen aneinander. Und dann, zischte diese Stimme aus meinem schmalen Mund: „Und warum ist es bitte schön sooooo schwer diese depperten Zettel einfach in diese bekackte Mappe einzuheften? Wie faul muss man sein, dass man nicht einmal DAS hinkriegt?!? Wie alt bist du eigentlich? Fünf?? Die Zähne putzen schaffst du aber schon alleine, oder????“.

Erschrocken sah ich zu, wie der Alien sich ruckartig zu meiner Ältesten, damals Fünfzehn, umwandte und sie anblitzte. Diese sagte nichts. Aber in ihren schreckgeweiteten Augen begann es verdächtig wässrig zu schimmern. Und dann rannte sie wortlos hinaus und in ihr Zimmer. Der Mutant rieb sich lächelnd die Hände und zwinkerte mir im Spiegel zu.

Ich war schockiert, wie konnte das passieren? Das kleine bisschen Restverstand analysierte die Situation. Auslöser war ein morgendlicher Anruf gewesen. Eine weibliche Stimme sprach monoton ins Telefon: „Hallo, hier ist der Französischlehrer ihrer Tochter…“ Lehrer? Das war doch eindeutig eine Lehrerin, oder? Ich war verwirrt. „…ich lade sie zu meiner Sprechstunde vor…“ Vorladen? Sind wir hier bei Gericht oder wie? Ich schluckte. „…. Wissen sie, ihre Tochter ist ein Sprachtalent. ABER sie hat SCHON WIEDER ihre Zettel nicht in die Mappe geheftet. Ich werde ihr eine Frühwarnung geben.“ Eine Frühwarnung? Früh war für mich nur die Uhrzeit für so eine Nachricht und deshalb stammelte ich nur „Ja, Ja, ok, und wann?“ ins Telefon.

War das also der Auslöser für meine Verwandlung gewesen? Langsam kam ich wieder zu mir. Mir wurde klar, dass ich schon länger dabei gewesen war mich zu verändern. Und ich erschrak. Denn als Psychologin erkannte ich, dass das was mit mir das passiert war, was als „Brainwashing“ bekannt ist.

Damit ist die unfreiwillige Umerziehung zu Werten und Überzeugungen gemeint, die dem eigenen Denken und Fühlen widerstreben. Brainwashing  funktioniert gut, wenn eine totalitäre Instanz im Spiel ist, die nicht hinterfragt werden kann, weil es keine Alternative gibt. Diese Instanz gibt unverhandelbare Werte vor und pflanzt diese durch Druck, Drohung, Beschämung, ständige Wiederholung und Bestrafungsmacht in die Köpfe. Ziel ist es, Menschen so an das System anzupassen, dass sie ihr eigenständiges Denken aufgeben und die fremden Werte als ihre eigenen übernehmen. Tritt die Instanz dann ab und zu auch freundlich und unterstützend auf, dann funktioniert Brainwashing noch viel besser.

Damn it! Ich war kein mutierter Alien. Ich war brainwashed. Ich fand es allmählich richtig, dass alle Kinder zu gleicher Zeit das Gleiche lernten. Ich fand es wichtig, dass sie Vorgaben unhinterfragt erfüllten. Ich fand es ok, dass die Kinder dafür miteinander verglichen und benotet wurden. Ich hatte langsam begonnen, diese und ähnliche Überzeugungen zu übernehmen. Und noch schlimmer. Ich begann gerade damit, sie stellvertretend zu exekutieren.

Ich hatte begonnen, meine Tochter als Mangelwesen zu betrachten. Unangepasst, faul, uninteressiert am Wesentlichen – dem Schulunterricht. Ich hatte begonnen ihre Begabungen und Talente abzuwerten. Sie schrieb schon mit dreizehn Jahren wundervolle, berührende Texte. Na und? Wer braucht so etwas? In Mathe ist sie eine Null! EINE NULL!! Sie stand mit vierzehn auf der Theaterbühne und spielte sich die Seele aus dem Leib. So what?! Die Französisch-Zettel sind noch immer nicht eingeordnet. NOCH IMMER NICHT!

„Sie hinterfragt zu viel, wieso tut sie nicht einfach, was man ihr sagt? Mathematik ist doch toll, man muss sich nur dafür interessieren. Wieso tut sie es nicht? SIE MUSS ES DOCH NUR WOLLEN!!“ Ich hatte diese und andere Botschaften so oft gehört, dass ich begonnen hatte, sie zu glauben. Ich sah mich im Spiegel an. Und dann schämte ich mich. Und dann tat ich mir leid. Und dann wurde ich wütend. Und ich bin es immer noch. Und ich hoffe, ich höre nie mehr auf damit, wütend zu sein, wenn Kinder, Eltern und auch LehrerInnen im System Schule brainwashed werden. Denn immerhin habe ich als Elternteil noch zwei Schulkarrieren vor mir. Nämlich die meiner jüngeren Töchter. Deshalb engagiere ich mich bei jedesK!ND. Denn ehrlich: Ich hasse mutierte Aliens. Und ich glaube fest daran, dass unsere Gesellschaft eine bessere wäre, wenn wir damit beginnen, die Talenteschätze unserer Kinder zu heben und zu pflegen anstatt unsere Kinder systematisch abzuwerten.

In diesem Sinne wünsche ich allen Kindern, Eltern und LehrerInnen eine schöne Urlaubszeit. Nehmt euch Zeit für euch, eure Familie und eure Mitmenschen. Besinnt euch auf eure eigenen Werte und schüttelt ab, was euch in eure Köpfe gepflanzt wurde. Es liegt an uns allen, die Schule zu einem menschenfreundlicheren Ort zu machen. Dazu müssen wir zunächst einmal eines – bei uns selbst bleiben.

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